Zum 90 Geburtstag von Freddy Quinn

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    Naujeck, Siegfried

    Der diskreteste Weltstar

    Schon seit Jahrzehnten ist es ruhig geworden um Freddy Quinn. Der „deutsche Elvis“, wie Guildo Horn den gebürtigen Österreicher anerkennend nennt, begeht heute sein 90. Wiegenfest. Nachdem 2008 der Tod ihn von seiner langjährigen Verlobten schied, zieht sich die Epochenfigur aus dem Rampenlicht zurück. Der Ausnahmekünstler übte sich auch in dieser schweren Kunst, wenn‘s am schönsten ist, zu gehen. Das unablässige Schaffenwollen ist gemein und zeigt Eifersucht, Neid, Ehrgeiz an. Wenn man Etwas ist, so braucht man eigentlich Nichts zu machen, — und tut doch sehr viel. Es gibt über dem „produktiven“ Menschen noch eine höhere Gattung., nennt Friedrich Nietzsche diese „ruhige Fruchtbarkeit“.

    Fünfzig Jahre stand der Sonnyboy auf der Bühne, auf dem Seil … „Der Wert eines Theaters bestimmt sich einzig und allein darin, wie gut oder schlecht dort Komödie gespielt wird; und nicht, in welchem Maße es die Literatur beeinflusst.“, zitierte Freddy einmal Thomas Mann und fügte hinzu: „Ich wollte, ich hätte das gesagt.“

    Als Perfektionist, der sich in sechs bzw. sieben Sprachen verständigen könne, vereinte er in sich den Sänger, den Schauspieler, Parodisten, den Artisten, den Komponisten und Texter sowie den Schriftsteller. Doch obwohl der Polyglotte in Englisch, Französisch, Portugiesisch, Spanisch, Japanisch, Afrikaans, Holländisch, Serbisch sowie vier weiteren Sprachen singt, erlangte er international nicht den Ruhm, den er sich als Weltenbummler so gern gewünscht hätte, wie Walter Studer schreibt. Im deutschsprachigen Raum jedoch war keiner so groß wie der kleine österreichische Alleskönner aus Wien.

    Mit Liedern wie „Heimweh“, das 1956 zu seinem ersten Erfolgstitel wurde, „Heimatlos“, „Du musst alles vergessen“, „Die Gitarre und das Meer“ und nicht zuletzt „Junge, komm bald wieder“ verkörperte er das Zeitgefühl der 1950er und 1960er Jahre. Ferner adelte er viele traditionelle Seemannslieder nicht nur durch seine Stimme, sondern auch mit traumhaft schönen Anmoderationen, umrahmt von Möwengeschrei, Wind und Wellen. Just jene Atmosphäre baute Lotar Olias 1963 auch in das erste Weihnachtsalbum mit einem deutschen Künstler ein. „Weihnachten auf hoher See“ verkaufte sich laut Walter Studer über 500.000 Mal und bescherte Freddy zwei Goldene Schallplatten. Würde es einen Preis für den schönsten weihnachtlichen Tonträger des 20. Jahrhunderts geben, Freddys anheimelndes Hörspiel „Weihnachten auf hoher See“ hätte ihn wohl erhalten.

    Seine 1965 großartig eingesungenen Volkslieder, veröffentlicht auf der LP „Die Stimme der Heimat“, verkauften sich über 2,5 Millionen Mal. Neben den zwölf „echten“ Volksliedern schuf Lotar Olias noch zwei Stücke im Volkston: „Kleines Dorf in der Heide“ und „Die Stimme der Heimat“. Letzteres verlieh dem Tonträger den Namen und ist eine versteckte Seemannsode. Nach zwanzigjähriger „Volkslied-Abstinenz“ hörten die (alten und jungen) Deutschen aus Freddys goldener Kehle ihre scheinbar „verlernten“ Lieder wohl wie ein Evangelium. Wenn sich in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts wieder ein Wandel durch Annäherung an traditionelles Volksgut vollzog, dürfte Freddy hierzu auch seinen Teil beigetragen haben.

    Mit diesen klassisch arrangierten Stücken hinterließ Freddy uns ein Gesamtkunstwerk, in das ich mich förmlich hineinlegen könnte. Das instrumentale Vorspiel „Aus der Jugendzeit …“ des ersten Titels „Nun ade, du mein lieb Heimatland“ lässt einen ca. dreiviertelstündigen Traum beginnen, der sich am Ende mit „Kein schöner Land“ erfüllt: ein Meilenstein in der Pflege des deutschen Liedgutes, wofür Freddy 1984 auch das Bundesverdienstkreuz verliehen wurde.

    Als mit Herz und Verstand singender Weltbürger polarisiert unser Kosmopolit nicht. Und seine gemäßigt liberale Mentalität macht ihn für mich zum idealen Werbeträger, um die Jugend vielleicht wieder für jene Werke ihrer Ahnen zu begeistern. Ich kenne einige Schallplatten mit Volksliedern, die so schön sind wie diese. Ich kenne keine, die Freddys „Stimme der Heimat“ übertreffen würde.

    „Das Volkslied hat die Jahrhunderte überdauert und trägt die ganze Kraft eines großen Ursprungs in sich. Es vermag durch diese Kraft und Innigkeit weiterzuwirken, und gibt demjenigen, der es aufnimmt und begreift, Maß und Urteil über das letztlich Echte einer künstlerischen Aussage. Indem wir ein solches Lied singen, verwandelt es unser Herz, und die Welt wird groß und schön.“, schreibt Ernst Duis in „Volkslieder“. Wolfenbütteler Verlagsanstalt, Hannover 1948.

    1966 nahm er den angeblich „umstrittensten Schlager aller Zeiten“ auf: Wir. Doch ist nicht nur Umstrittenes interessant! Diese Abrechnung mit den sogenannten Gammlern und Hippies habe Freddy sehr geschadet. Der geniale Texter Fritz Rotter, der wegen seiner jüdischen Herkunft 1933 seine Heimat verlassen musste, greift die jungen Leute nicht primär an, nur „weil sie lange Haare tragen“. Er kritisiert deren zerstörerisches Treiben sowie asoziales Verhalten – wie schon Otto Reutter in den zwanziger Jahren: „… heute auf den Straßen, da kann man oft Bummler seh‘n, da gibt‘s nichts zu spaßen. Die komm‘, wenn sie bummeln geh‘n, jedem ins Gehege. Bloß wenn sie `ne Arbeit seh‘n, da geh‘n sie aus dem Wege.“ Dabei sucht Freddy am Ende sogar das konstruktive Gespräch mit den Jugendlichen. Kaputtmachen ist viel leichter als Aufbauen. Und das platte Zerstören von Glauben bedingt immer unfruchtbares Handeln. Verriet die Protestbewegung der 1960er Jahre nicht die Liebe im Namen der Sexualität?

    Indem Freddy es bereute, den Fritz-Rotter-Text gesungen zu haben, beging er eine zweite Dummheit: Sollte nicht jede öffentliche Person zu allem, was sie interpretiert hat, stehen – anstatt ein kontroverses Lied später im Stich zu lassen? Straft sich Freddy mit seinem Schlager „Nicht eine Stunde tut mir leid“ (P 1986) nicht selbst Lügen, wenn er singt: „Ich tät alles nochmal, hätt‘ ich die Wahl!“

    Doch ist es nicht der eigentliche Skandal, dass Freddy wegen der Worte eines jüdischen (!) Künstlers nach 1945 aus Deutschland „freiwillig auswandern musste“? Für weiteren Unmut sorgten auch die beiden Stücke „Eine Handvoll Reis“ und „Hundert Mann und ein Befehl“ zum Krieg der Amerikaner in Vietnam. Für die Kritiker soll er ein „Reaktionär“ sein und ein Militarist. Heinz Quermann sagt in seiner „Freddy-Quinn-Story“ nur die halbe Wahrheit, warum Freddy Quinn in der DDR verboten war: „Und schuld daran war Herr von Schnitzler, der in seinem „Schwarzen Kanal‘ einmal die Ledernacken in Vietnam aufmarschieren ließ, unterlegt mit Freddys ,Hundert Mann und ein Befehl‘. Und in seinem Kommentar deutete Schnitzler an, Freddy habe dieses Lied den Ledernacken gewidmet. Das war natürlich eine typische Sudel-Ede-Entstellung …“

    Es ist deshalb nur die halbe Wahrheit, weil die West-Medien für Sudel-Ede erst die Munition lieferten. Warum Freddy Quinn dann im März 1978 doch im unfreien Teil Deutschlands auftreten durfte, erscheint mir vor diesem Hintergrund merkwürdig. Freddy, der übrigens mit einem abgelaufenen Pass in die eingemauerte DDR einreisen konnte (sein gültiger Ausweis war in einem anderen Jackett in Hamburg), meinte daraufhin schmunzelnd: „Die DDR ist eben ein ideales Land für Künstler.“

    Nach dem Abebben der Lieder- und Leinwand-Erfolge erfand Freddy sich als Musical- und Volksschauspieler neu.

    Einen Image-Knacks gab es 2004, als die Medien berichteten, Freddy habe von 1998 bis 2002 ca. 900.000 Euro an Steuern hinterzogen. Da ich Freddy so sehr verehre, ist mir dieser Makel sogar ganz recht. Denn dadurch ist die Gefahr, ihn zu vergöttern, gebannt.

    Warum fragen viele, insbesondere Journalisten, geradezu gebetsmühlenartig immer wieder nach dem „privaten Menschen Freddy“? Es ist, als ob man Freddys perfekt aufgeführten Filme und Theaterstücke erst recht würdigen könne, wenn man gesehen hat, wie sich die Kunstfigur hinter der Bühne aufführt. Warum suchen manche in Freddys schönem Blumengarten, seinem Repertoire, nur den Mist, auf dem die herrlichen Blumen, die Lieder, wachsen? Müssen geniale Künstler auch einen genialen Charakter haben und liebenswürdige Menschen sein? In Abwandlung eines bekannten Ausspruches möchte ich sagen: Wer in der Jugend sein Idol nicht hautnah erleben, „anfassen“ und so viel Privates wie möglich von ihm erfahren möchte, hat kein Herz. Wer es mit zunehmendem Alter immer noch möchte, hat kein Hirn. Reicht es nicht, wenn er Genie nur in den Geschäftsstunden war? Reicht es nicht, zu wissen, dass der „heimatlose Vagabund“ am 27. September 1931 irgendwo auf der Welt das Licht erblickte und als Scheidungskind seinen Stiefvater nicht ausstehen konnte? Forderte nicht die Freiheit der Mutter von ihrem kleinen Manfred, so Freddys Geburtsname, die Freiheit seiner Kindheit aufzugeben? Indem der kleine Mann sein Recht auf Papa und Mama verlor, machte er im Prägealter die Kernerfahrung einer grundsätzlich veränderten Welt.

    Siegfried Naujeck, im September 2021

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